3. Die Wirkung der Wirtschaftspsychologie in Unternehmen


Sowohl auf der Produktions- wie auch auf der Konsumptionsseite ermöglichen die Erkenntnisse der Wirtschaftspsychologie weiterführende Einsichten, die in ein geplantes Handeln aufgenommen zu einer besseren Ausrichtung des Unternehmens auf den Markt – sowohl hinsichtlich der Arbeit als auch des Konsums – gegenüber den wirtschaftswissenschaftlich fundierten Ansätzen beitragen können. Und das mit einiger Sicherheit und in einigem Umfang. Erleben und Verhalten produzierender wie konsumierender Menschen sind weit über das (begrenzt) rationale hinausgehende Faktoren. Unternehmen (oder vielmehr darin gestaltend agierenden Personen) sollten

  • die Beweggründe und Ausprägungen des menschlichen Produzierens und Konsumierens (Phänomene, Muster, Wirkungen, Alternativen) kennen
  • diese für ihr Unternehmenbewerten können,
  • sowie ihr eigenes Verhalten daran ausrichten (z.B. beeinflussen, abwenden, nutzen) können.

Abb. 9 illustriert diesen Sachverhalt:

Abb. 9: Erleben und Verhalten in Produktion und Konsumption berücksichtigen

Dazu ein Beispiel aus der Arbeits- und Organisationspsychologie: Hier ist eine Feststellung, Beurteilung oder Vorhersage von leistungsorientiertem Handeln wichtig und findet z.B. im Rahmen von Personalauswahl, Führung, Personalentwicklung, Entgeltfindung, Zielvereinbarung und Leistungsbeurteilung statt. Dabei sind die menschlichen Erlebens- und Verhaltensfunktionen des Wahrnehmens, der Beobachtung, des Gedächtnisses, der Urteilsbildung und der Entscheidungsfindung angesprochen, also ein komplexes Feld. Die Arbeits- und Organisationspsychologie bietet und begründet hinreichend eine ebenso einfache wie wichtige Erkenntnis, die in der Praxis anscheinend weiterhin nicht so recht verbreitet ist: Nicht im Alltag gesammelte Erfahrung, Intuition und Menschenkenntnis machen den Kernbestand der Güte dieser Prozesse aus, auch wenn diese vom jeweils Diagnostizierenden subjektiv als richtig und sicher eingeschätzt werden. Im Gegenteil weisen sie charakteristische Schwächen oder sogar Fehler auf, die nicht (sofort) erkennbar sind – mehr noch: deren Erkenntnis Menschen üblicherweise aktiv unterdrücken. Fehler zu erkennen und Schwächen einzugestehen steht im Widerspruch zu einem nicht reflektierten Bedürfnis nach einem positiven Selbstbild. Sie sind auch Folge einfacher Unkenntnis, fachlicher Überforderung und kognitiver Bequemlichkeit, die interindividuell unterschiedlich ausgeprägt und intraindividuell veränderlich sind. Und nicht zuletzt geht es bei der Beurteilung von Personen um soziale Definitionen, Symbolpolitik und Machtverhältnisse. Insgesamt also eher nicht zentral um qualitativ hochwertige und möglichst gering verzerrte Urteile und Entscheidungen. Das 1. zu wissen, 2. analysieren und 3. damit konstruktiv umgehen zu können, ist ein Gegenstandsbereich der Wirtschaftspsychologie.

Zurück zum Beispiel: Traditionell und ohne Kenntnis wirtschaftspsychologischerBefunde führt z.B. die Beobachtung einer „gewissen Trägheit“ bei einem langzeitarbeitslosen Bewerber mit an sich recht guten Zeugnissen sofort zu einer massiven Abwertung der Eignung und zumeist zur unmittelbaren Ablehnung. Die Logik dahinter ist ebenso verlockend wie fehleranfällig: „Wer sich nicht mal hier in einem so wichtigen Gespräch zusammennehmen kann, wird natürlich unmotiviert sein. Auch wenn die Person früher einmal gute Arbeit geleistet haben sollte, so ist sie spätestens durch die Arbeitslosigkeit so verhunzt, dass es keinen Zweck mehr hat, sich mit diesem Risiko zu belasten.“ Traditionell wird also eine einseitige Risikominimierung betrieben. Dass der Bewerber evtl. sehr geeignet für die Position ist und ein motivierter Mitarbeiter geworden wäre … tja, das wird man nie erfahren. Also auch nicht, wenn das eigene Urteil daneben lag.

Die Wirtschaftspsychologie dagegen vermittelt dem Diagnostiker zunächst eine erhöhte Aufmerksamkeit: Die Beobachtung (falls man eine „gewisse Trägheit“ beobachten kann und das nicht bereits eine Schlussfolgerung darstellt)soll nicht zu einem endgültigen Urteil führen. Sie soll nicht das Ende der Diagnostik sein, sondern ihr Anfang. Eine solche Beobachtung lenkt die Aufmerksamkeit auf das beobachtete Phänomen. Da es Erkenntnisse gibt, die zeigen, dass gerade Langzeitarbeitslosigkeit Bewerber zu solchem „trägen“ Verhalten bringen kann, weil sie sich z.B. aus Selbstschutzgründen nicht allzu sehr in ein Vorstellungsgespräch hineinsteigern und dann gebremster wirken, als es ihrem Gegenüber gefällt, ist in einem weiteren diagnostischen Schritt zu prüfen, worauf das Verhalten, das ja schließlich den Zeugnissen zu widersprechen scheint, zurückzuführen ist. Wirtschaftspsychologisches Vorgehen setzt häufig genau dort ein, wo traditionell-betriebswirtschaftliches Vorgehen bereits endet. Das traditionelle Vorgehen ist eine zirkuläre Argumentation, die sicher zur Ablehnung führt.

Wenn man sich das ohne weiteres leisten kann, weil man viele gut geeignete Bewerber im Auswahlverfahren hat, muss das kein größeres Problem darstellen – oder zumindest erkennen lassen. Geht man alternativ davon aus, dass es in dem Feld, für das die Stelle ausgeschrieben ist, ein „Fachkräftemangel“ herrscht, vergibt man sich durch das vorschnelle betriebswirtschaftliche Vorgehen schmerzhaft die Chance einen guten Mitarbeiter zu gewinnen, der zudem nach der Erfahrung der langen Arbeitslosigkeit vermutlich eine sehr hohe Bindung an das Unternehmen und die neue Arbeit entwickeln könnte.Der psychologische Diagnostiker prüft alsoweitergehend, ob ein nachhaltiger Leistungsabbau vorliegt oder ob das Verhalten eine reversible Folge der Arbeitslosigkeit ist. Er bezieht auch die Frage nach der Validität der vorliegenden Zeugnisse, die ja einen anderen Eindruck vermitteln, mit ein. Das Ergebnis muss nicht anders sein als bei intuitivem Vorgehen: Auch der Wirtschaftspsychologe kann zuletzt zu der Entscheidung kommen, die Bewerbung abzulehnen. Aber das Vorgehen ist ganz anders und lässt dem Unternehmen die Chance, eine sach- und kenntnisbasierte Entscheidung zu treffen, statt einer reflexartigen Minimierungsreaktion eines nicht geprüften Risikos nachzugeben.

Auch auf der Konsumptionsseite der Wirtschaft lässt sich dies anwenden, z.B. im Kundenbeziehungsmanagement oder der Marktforschung. Auch hier bringen die psychologischen Konzepte und Methoden zusätzlichen Nutzen für das Handeln in wirtschaftlichen Kontexten.

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