Wo also knirscht es bei der Wirtschaftswissenschaft und die Psychologie kommt weiter? Beispielsweise werden in der Wirtschaftswissenschaft weiterhin und trotz anders lautender Grundsatzaussagen Menschen als homo oeconomicus über einen Kamm geschert: In Konsum wie auch als Arbeitnehmer seien Menschen überwiegend auf eigene und unmittelbare materielle Vorteile bezogen und handeln gemäß diesem Kriterium rational, verfolgen also eine stringente opportunistische Nutzenmaximierung. Abweichungen davon werden weniger in anderen Strebungen gesehen als vielmehr in einer Begrenztheit der angenommenen menschlichen Rationalität, weshalb Vorteile nicht immer voll nutzen und sogar zugunsten vordergründiger, kurzfristiger Effekte größere langfristig wirkende Vorteile nicht erkennen oder verschmähen.
Diese Logikist ebenso bestechend wie ignorant: Alles was getan wurde, ist materiell nutzenoptimierend – und falls es nicht geklappt hat, dann nur deshalb, weil der Handelnde es nicht besser erkannt oder gekonnt hat. Das klingt verdächtig nach „Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bliebt wie es ist“ – also einerseits absolut bestechend klar formuliert und eingängig, andererseits weitgehend erkenntnisfrei hinsichtlich des Wetters bzw. hier der Ursachen des Handelns. Wirtschaftspsychologie dagegenkann qualitativ und quantitativ besser modellieren, nach welchen Leitlinien oder Faktoren (verschiedene) Menschen vorgehen und kann helfen auf der Basis von Verhaltensvorhersagen auch in Situationen der Unbestimmtheit handlungsfähig zu bleiben, ohne auf triviale Nullaussagen wie den Hahn mit dem Wetter oder der reinen Nutzenoptimierung rückzugreifen.
Sie kann damit für das Verhalten von Menschen besser z.B.
- Erwartungen bilden und Vorhersagen ermöglichen
- auf Alternativen für eigenes Handeln vorbereiten, um nicht auf „überraschende“ Phänomene improvisiert reagieren zu müssen
- Handlungsempfehlungen und Bewertungen von Handlungen und ihrer Wirkung liefern.
Sie kann ansetzen, indem sie z.B. einerseits die angenommene begrenzte Rationalität aus Einschränkungen der menschlichen Informationsverarbeitung genauer beschreiben kann – und, was viel relevanter sein dürfte, auch erklären kann, wann und warum solche Einschränkungen nicht immer (gleich) wirksam wird. Hierzu sollen nur die Begriffe dual processing (z.B. Petty & Cacioppo, 1986; Fiske & Taylor, 2017) bzw. satisficing vs. optimizing (Simon, 1956)genannt werden, die eine gewisse Neigung zur vereinfachten Informationsverarbeitung aus Ressourcenersparnis beschreiben, die aber unter motivationalem und Willenseinfluss zugunsten umfassenderer systematischer Informationsverarbeitung ausgesetzt werden kann.
Andererseits verweist sie auf die eigenständige und prinzipiell gleichberechtigte Relevanz nicht-materieller Aspekte, z.B. Emotionen und Gesellung, wobei das Streben nach positiven Emotionen und nach befriedigenden sozialen Beziehungen sich gegenüber materiellem Gewinn häufig durchsetzt.
Die Wirtschaftspsychologie bündelt dafür spezifische Methoden und Erkenntnisbestände der Psychologie zum Erleben und Verhalten von Menschen als
- nicht (nur) rational-ökonomisch (Wirkung z.B. auch von sozialen Ziele, „Faulheit“, Selbstbildpflege)
- nicht trivial (z.B. durch Berücksichtigung weiterer Aspekte und Einschätzung, Modellierung, Bewertung von Unsicherheit)
- nicht alle gleich (z.B. Berücksichtigung relevanter sozialer Kategorien)
- nicht immer gleich (z.B. Einfluss von Emotionen)
Sie beschreibt besser, wo Regelmäßigkeiten sind und welche. Ferner wo und inwiefern es dagegen keine (einfachen) Regelmäßigkeitengibt, wo es also relevant ist zu differenzieren. Und dann wie und wonach. Abbildung 7 illustriert das Feld, in dem sich die Wirtschaftspsychologie dem Erleben und Verhalten des Menschen in wirtschaftlichen Kontexten nähert:
Abb. 7: Bedingungen des Erlebens und Verhaltens des Menschen in wirtschaftlichen Kontexten
Es gibt viele solcher psychologischen Konzepte, die Mehrwert gegenüber nicht-psychologischen Herangehensweisen bringen. Abb. 8 stellt einige davon zusammen:
Abb. 8: Beispiele wirtschaftspsychologisch relevanter Konzepte der Psychologie
Schon diese kleine Auswahl ist recht imposant und es ist einleuchtend, dass deren Kenntnis und Handhabung natürlich Personen ohne einschlägige (Aus-)Bildung überfordern wird.
Weiter zu Teil 3: Die Wirkung der Wirtschaftspsychologie in Unternehmen