1. Die Wirtschaftspsychologie


Die Wirtschaftspsychologie ist eine einigermaßen junge wissenschaftliche Disziplin, deren Wirkungsanspruch sich durchaus auf den Erfolg von Unternehmen erstreckt. Die Frage nach ihrer Bedeutung für den Unternehmenserfolg ist für den Einen Frage überraschend, weil die Bedeutung für ihn völlig klar zutage liegt, für die Andere ganz im Gegensatz dazu, weil für sie Wirtschaft und Psychologie kaum zusammengehen. Gerade, weil die noch häufig vorkommende Vorstellung, dass Psychologie hier und Wirtschaft da entweder nichts miteinander zu tun haben oder sogar zumindest in Teilen gegenläufig sind, immer weiter überwunden wird, entsteht die Wahrnehmung, dass man sich gegenseitig ins Gehege kommen kann. Insofern stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Wirtschaftspsychologie für den Erfolg von Unternehmen sehr wohl: Vor allem im Vergleich mit oder zumindest in Ergänzung der traditionellen Leitdisziplin der Betriebswirtschaftslehre.

Die Wirtschaftspsychologie bringt also zwei Bereiche wieder zusammen, die faktisch ohnehin fest miteinander verbunden sind und nur analytisch (rationalistisch-normativ) getrennt sind: der Mensch und die Wirtschaft. Sie sind nicht unabhängig voneinander oder Gegner, sondern bilden einen unauflöslichen Komplex, ein System. Eine getrennte Betrachtung beider kann nur zu minderen Ergebnissen führen als eine integrierte Betrachtung.

Was bedeutet das nun genau?Und wie macht sie das? Dazu lohnt es sich, ein bisschen auszuholen: Die Wirtschaftspsychologie ist ganz allgemein definiert die Teildisziplin der Psychologie, die sich mit dem Erleben und Verhalten von Menschen im wirtschaftlichen Kontext befasst (vgl. Moser & Soucek, 2015). Sie ist somit ein Anwendungsfach der Psychologie: Theorien, Erkenntnisse und Methoden der Psychologie werden auf ihre Anwendbarkeit auf einen Kontext hin betrachtet. Sie ist also eine Perspektive auf einen definierten Zusammenhang oder Kontext. Der Kontext hier ist der wirtschaftliche. Der Sachverhalt wird in Abb. 1 illustriert:

Abb. 1: Die Wirtschaftspsychologie als Perspektive

Es handelt sich um ein weites Feldund so befasst sich die Wirtschaftspsychologie gemäß ihrem Kontext mit einem sehr breiten Spektrum von Phänomenen. Mit Wiswede (2012) lässt sich dies grundsätzlich in die Facetten der mikroökonomischen Prozesse von Produktion und Konsumption sowie makroökonomische Prozesse strukturieren. Die Psychologie der Produktion wird zumeist über das Feld der Arbeits- und Organisationspsychologie erschlossen, die der Konsumption über die Markt- und Werbepsychologie. Eine Illustration bringt die Abb. 2:

Abb. 2: Struktur der Wirtschaftspsychologie

Die folgenden Abbildungen 3 bis 5 differenzieren die Kernbereiche der Wirtschaftspsychologie nach ihren Hauptinteressen:

Abb. 3: ausgewählte Themen der Arbeits- und Organisationspsychologie (nach Wiswede, 2012)

Abb. 4: ausgewählte Themen der Markt- und Werbepsychologie (nach Wiswede, 2012)

Abb. 5: ausgewählte Themen der Psychologie makroökonomischer Prozesse (nach Wiswede, 2012)

Wie andere Anwendungsdisziplinen entwickelt sich auch die Wirtschaftspsychologie etwas perspektivisch: Anforderungen und Interesse der Wirtschaftspsychologie werden zumeist von der (zahlungskräftigen und materiell interessierten) Unternehmensseite artikuliert. Deshalb steht die Produzenten- bzw. Anbieterseite im Vordergrund. Das heißt aber nicht, dass die andere Seite, die des arbeitenden und konsumierenden Menschen, völlig zum manipulierbaren Objekt verkommt:Es wird in jüngerer Vergangenheit verstärkt auch diese Seite fokussiert und im Idealfall werden Produzent und Arbeitender bzw. Konsumierender integriert. Dies geschieht z.B. in Ansätzen der Arbeitssysteme und der Organisationsentwicklung auf der einen und der Dienstleistung, der kundenorientierten Qualitäts- und Zufriedenheitsansätze auf der anderen Seite.

Nun ist es nicht hinreichend, viele und breite Themen für sich zu beanspruchen. Das tun andere Disziplinen auch und verstehen sich in „ihren“ Domänen durchaus als Leitdisziplinen. Thematisch überschneidend sind das für Sachverhalte, die die Wirtschaftspsychologie bearbeitet, neben der Wirtschaftswissenschaft und der Psychologie zumindest die Arbeitswissenschaft, die Organisationspädagogik, die Soziologie, Teilbereiche der Politologie und der Ethik. Und so geht es inhaltlich um die typische Stärke, aber auch das ebenso typische Problemfeld eines „interdisziplinären“ Ansatzes wie der Wirtschaftspsychologie:Aus einer standespolitischen Perspektive der Grundlagendisziplinen kann ein interdisziplinär Ausgebildeter oder Arbeitender als „nicht richtig“ ausgebildet oder kompetent, jedenfalls irgendwie randständig angesehen werden.

Was ist denn nun also das Spezielle oder Spezifische an der Wirtschaftspsychologie, wodurch sie inhaltliche erkennbar und relevant wird? Hier soll das aus der folgenden Perspektive betrachtet werden: Man kann sich Vieles so schön rational modellieren und dann (das ist das Problem!) erwarten, dass es so geschieht, v.a. dass Menschen sich so verhalten, wie man das von ihren wünscht oder sogar erwartet. Aber das klappt so nicht (immer). Eigentlich scheint es ganz einfach zu sein: Nehmen wir als Beispiel einen Unternehmer, der angesichts eines von seinem Unternehmen entwickelten Produkts verzückt ausruft: „Unser Produkt ist gut! Sowas kaufen die Leute!“ Das kann klappen. Oder auch schief gehen. So ganz einfach ist es nämlich nicht – zu viele ungenannte Vorannahmen und Wunschvorstellungen sind in diesen beiden einfachen und scheinbar folgerichtigen Sätzen enthalten (vgl. Abb. 6):

Abb. 6: Eigentlich ist es ganz einfach … oder?

  • Für den ersten Satz z.B.: Was ist eigentlich „gut“? Und für wen? Und in welchem Ausmaß? Warum sollte das so sein? Und woher will man das wissen?
  • Und für den zweiten Satz: Wer sind eigentlich genau „die Leute“? Und kaufen es alle diese Leute? Oder wie viele kaufen es? Kaufen sie es später nochmals? Wie häufig kaufen sie es? Kaufen sie es – aber woanders? Und wissen sie überhaupt, dass sie sowas von/bei uns bekommen?
  • Und zuletzt noch die angenommene Schlussfolgerung der beiden Sätze: Wird gekauft, was gut ist? Immer? Immer wieder? Oder wird auch mal aus anderen Gründen gekauft? Oder gar nicht?

Das sind bereits eine ganze Menge Fragen, die auf Basis der einfachen, mit Selbstbewusstsein vorgetragenen Aussage des Unternehmers unbeantwortet sind, bevor das alles so klappt, wie unser Unternehmer sich das wünscht.Diese und weitere Fragen fallen weniger in den Bereich der Wirtschaftswissenschaft als vielmehr den der Psychologie – in Anbetracht des Kontexts also der Wirtschaftspsychologie.

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